Schlaglicht

SCHLAGLICHT

Am 8. Mai wurde bundes- und weltweit an das Ende des Zweiten Weltkrieges und die Befreiung vom Nationalsozialismus erinnert. Die vielen Gedenkveranstaltungen, Reden und Beiträge sind aber nicht nur im Blick auf das konkrete historische Ereignis von großer Bedeutung.

Erinnerungen bestimmen mit, wer wir Menschen sind. Erinnerungen sind bedeutsam für unser Handeln und unsere Entscheidungen in der Gegenwart – kurz: für unsere Identität. Ohne Erinnerung können wir unsere Gegenwart nicht verstehen. Wir wissen nicht, wo wir herkommen und können uns nur schwer in unserer Gegenwart zurechtfinden. Ohne Erinnerung laufen wir Gefahr, den Kompass für die Zukunft zu verlieren. Individuelles und kollektives Erinnern stiftet Identität und gibt Orientierung. Das gilt für uns zum einen ganz persönlich. Wir Menschen haben ein Gedächtnis. Ohne Erinnerung, ohne das Zurückgreifen-Können auf eigene oder gemeinsame Erfahrungen verliert ein Mensch seine Individualität und findet sich nur sehr schwer in einer Gemeinschaft zurecht. Zum anderen gilt dies auch für die Gesellschaft, in der wir leben.

Ein Staat, der seine Geschichte vergisst oder verdrängt, beraubt sich seiner Erfahrungen, um richtige Entscheidungen für die Gegenwart zu treffen

– so ein Satz bei einer Veranstaltung auf dem Kirchentag in Hannover um Thema „Erinnerungskultur“.

Auch der christliche Glaube lebt aus der Erinnerung: Gerade im Alten Testament ist das Erinnern fester Bestandteil der jüdischen Identität. So erinnern sich jüdische Menschen zum Pessachfest an die Befreiung aus Ägypten, fast als wären sie selbst dabei gewesen. Ähnliches geschieht, wenn wir Christ*innen Abendmahl feiern. Die Kirche ist von ihren Wurzeln her eine Erinnerungsgemeinschaft. Dazu gehört auch das Erinnern an die Gräueltaten der Nationalsozialisten, an die Verbrechen in der Kolonialzeit oder an die eigene Schuld gegenüber Betroffenen von Missbrauch in der Kirche. Das Erinnern an Leid, Schuld und Unrecht sind die Voraussetzung für Versöhnung und Wiedergutmachung. Erst die Rückschau eröffnet die Zukunft. Nur auf diese Weise kann eine gute Zukunft gelingen. Vergessen wir das nicht!

Autor*in

Florian Geith

Landesjugendpfarrer