Auf den Spuren der Waldenser

Profil

Schüler*innen vom Evangelischen Trifelsgymnasium unterwegs auf dem Waldenserpfad und in Gesprächen über das, was Gewissen ist

„Dürfen Christ*innen Dienst an der Waffe leisten?“

– „Ist es für Christ*innen mit dem Gewissen vereinbar, Gewalt anzuwenden?“

Diese und ähnliche Fragen beschäftigen 19 Schüler*innen der Klassenstufe 11 des ETGA bei der Projektwoche vom 23.-27. Juni 2025 auf dem Waldenserpfad durch den Odenwald. Unter der Leitung von Karin Kienle, Anke Meckler und Florian Geith wanderte die Gruppe auf dem Pfad der verfolgten Waldenser von Hirschhorn nach Ober Ramstadt. Übernachtet wurde in Kirchengemeinden und auf Zeltplätzen. Ziel war am letzten Abend die Waldensergemeinde Rohrbach, wo die Gruppe von der Waldenservereinigung der Gemeinde empfangen wurde. Unterwegs beschäftigten sich die Schüler*innen mit der leidvollen Geschichte der Waldenser, ihren Glaubensüberzeugungen und ihrer Verfolgung nach der Aufhebung des Ediktes von Nantes.

Neben dem historischen Hintergrund wurden immer wieder Brücken in die Gegenwart und die Lebenswelt der Jugendlichen geschlagen:

 „Welche Bedingungen müssten bei uns heute herrschen, damit wir nicht mehr in diesem Land leben möchten?“

„Wann wären wir bereit, alles aufzugeben und unsere Heimat zu verlassen?“

 – Das waren Impulsfragen zu spannenden Gesprächen, die sich auf dem Weg entwickelten. Die Grundsätze der Waldenser in Fragen der Gewaltfreiheit waren der Aufhänger zur aktuellen Entscheidung der bevorstehenden Wiedereinführung der Wehrpflicht. Sie betrifft gerade die Jugendlichen, die bei der Projektwoche mit unterwegs waren. Seit dem Sommer 2024 nimmt die Debatte um eine Wiedereinführung der Wehrpflicht bzw. eines neuen Gesellschafts- oder Wehrdienstes wieder Fahrt auf. Jugendliche, so wie die Teilnehmenden der Woche, werden aller Voraussicht nach im nächsten Jahr einen Brief erhalten mit der Frage nach der Bereitschaft, Dienst an der Waffe zu leisten. Damit rückt die zentrale Frage nach der Vereinbarkeit von Wehrdienst und christlichem Glauben wieder ins Zentrum der Arbeit mit jungen Menschen. In der Jugendarbeit gehört bis zur Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 die Beratung zur Kriegsdienstverweigerung zu einer wichtigen Aufgabe, denn:

„Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“

 

Artikel 4 Absatz 3 im Grundgesetz

Mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht rückt der Artikel wieder in der kirchlichen Bildungsarbeit und der Begleitung junger Menschen in den Mittelpunkt. Wenn Jugendliche mit uns über Krieg, Diskriminierung, Rassismus oder Rechtsextremismus sprechen, dann wird die Frage nach dem Gewissen als innerer Kompass für die Orientierung in zentralen Lebens- und Glaubensfragen von entscheidender Bedeutung. Seit dem Satz von Martin Luther „Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Helfe mir Gott!“ vor dem Reichstag in Worms ist das Gewissen für Protestant*innen die entscheidende Antenne zu Gott und Richtschnur für ethische Gewissensentscheidungen im Leben, gerade in der Vereinbarkeit von Kriegsdienst mit christlicher Ethik und dem jesuanischen Gebot der Gewaltfreiheit, so wie bei den Waldensern.
Bei der Projektwoche wurde daher intensiv der Frage nach gegangen, welche Rolle das Gewissen dabei spielt. Was verstehen wir unter Gewissensentscheidungen? Woher rührt die moralische Instanz im Inneren, die uns bei schwierigen Entscheidungen Orientierung gibt? Und was hat das Gewissen mit meinem Glauben zu tun?

Es wurde dabei deutlich, wie wichtig die religionspädagogische Begleitung junger Menschen bei aktuellen Krisenerfahrungen, der Entwicklung einer eigenen Haltung und persönlichen Entscheidungen ist. Eine große Herausforderung ist dabei, unterschiedliche Meinungen zu akzeptieren und darüber miteinander in einen fruchtbaren Dialog zu kommen. Evangelische Arbeit mit jungen Menschen kann Räume der konstruktiven Auseinandersetzung mit schwierigen Lebens- und Glaubensfragen eröffnen. Auch die Meinungen der Schüler*innen gingen weit auseinander. „Ich muss auch als Christ mein Leben oder meine Familie mit Waffengewalt verteidigen können“, argumentierte ein Schüler, während vor allem die Mädchen einen Dienst an der Waffe überwiegend ablehnen. Unterschiedliche Meinungen auszuhalten und trotzdem miteinander um den richtigen Weg zu ringen, ist eine wesentliche Grundlage der Demokratie. Bei der Projektwoche konnten die Jugendlichen am eigenen Leib erfahren, was eine demokratische Grundhaltung ausmacht. Kirchliche Jugendarbeit unterstützt junge Menschen nicht nur bei der Entwicklung eines eigenen Glaubens, sondern ist gleichzeitig eine wichtige Werkstatt demokratischen Lernens.

Während der Woche wurde immer klarer, dass Pfarrer*innen und vor allem Hauptberufliche in der Jugendarbeit darauf vorbereitet werden müssen, junge Menschen in Gewissenfragen zu begleiten. Die Beratung in Kriegsdienstverweigerung wird eine zunehmende Rolle spielen. Die „Arbeitsstelle Frieden und Umwelt“ hat dazu ein Konzept der Gewissensbildung erarbeitet mit einem konkreten Leitfaden, sich methodisch der Gewissensbildung mit jungen Menschen zu nähern. Der Friedensbeauftrage der Landeskirche Gregor Rehm hat im April 2025 einen Fachtag für Jugendreferent*innen und Dekanatsjugendpfarrer*innen durchgeführt. Der Leitfaden war auch Grundlage der Projektwoche und hat sich in der Praxis sehr gut bewährt.

Vor allem war die Woche ein wertvolles Erleben von Gemeinschaft. Es war bewundernswert zu erleben, wie die Anstrengung, die geteilten Mühen bei der Hitze und die gegenseitige Rücksichtnahme die Gruppe zusammenschweißt. Es war eine sehr schöne Erfahrung der Gastfreundschaft von Kirchengemeinden zu spüren, die uns als Gruppe aufgenommen haben und in ihren Kirchen übernachten ließen. Der Höhepunkt war dabei ein Abend der Begegnung in der Waldensergemeinde in Rohrbach. Pfarrer und Mitglieder der Waldenservereinigung nahmen sich Zeit für Gespräche mit uns. Die Gruppe durfte im Altarraum der Kirche übernachten, in den Räumen des Kindergartens kochen und im Alten Schulhaus die Ausstellung über die Waldenser besuchen.

„Protestantisch unterWEGs“ nennt sich das Konzept, das vom Landesjugendpfarramt in Kooperation mit dem ETGA entwickelt wurde. Die Idee, Geschichte mit eigenen Lebens- und Glaubensfragen und einem intensiven Gruppenprozess zu verbinden, in dem man sich gemeinsam auf den Weg macht, wurde zum neunten Mal mit dem ETGA durchgeführt und hat sich dort etabliert. Auch die Broschüre „protestantisch unterWEGs“ findet in vielen Bereichen der Jugendarbeit immer größeren Anklang. (Hier auch zum Download oder als gedruckte Broschüre im Landesjugendpfarramt erhältlich)

Autor*in

Florian Geith

Landesjugendpfarrer